Nils Ohlsen
Artenschutz im surrealen Dschungel
Angelika Eggert gibt sich nicht damit zufrieden, ihre ebenso alltäglichen wie rätselhaften Motive anhand eines Mediums auf einen Bildträger zu bringen. Sie sucht das kreative Verwirrspiel zwischen verschiedenen Ausdrucksformen, Proportionen und Realitätsebenen. Damit unterläuft die Düsseldorfer Künstlerin unsere Erwartungen, und weckt Neugier und Aufmerksamkeit für ihre oftmals unterschwellig von subtilen politischen Botschaften motivierten Werke, in denen es häufig um Natur, Kommunikation und die mitunter surreale Hässlichkeit des öffentlichen Raums geht.
Fensternischen werden zu Fassungen für Blockprints, auf denen zahllose Münder einem Megaphon entgegenzuschreien scheinen, ein Straßenschild wird zum Rahmen für einen Feldstecher, der nach hoppelnden Hasen Ausschau hält, und eingepasst in die Laibungen längst erblindeter Kellerfenster begegnet man kontrastreichen Holzschnitten mit riesigen Insekten. Die Straße wird so zum temporären Ausstellungsraum der Künstlerin.
Mit ihren kreativen Interventionen in sonst kaum wahrgenommenen Un-orten und versteckten Paradiesen unserer alltäglichen Umgebung sammelt sie Ideen für eine Kunst, die sich vor allem durch eines auszeichnet: positive Energie, offensiven Appell gegen jede Trostlosigkeit und nicht zuletzt humorvolles Augenzwinkern. Angelika Eggerts Kunst ist im besten Sinne fröhlich und hat doch Tiefgang, will Kontakte knüpfen, ohne kompliziert zu sein, und besitzt eine formale Neugier und Vielschichtigkeit, die erfrischt wie eine Vitaminbombe.
Surreale Spurensuche
Eggerts grafische Darstellungen vergrößerter Insekten, ihre Verbindung von Foto und Holzschnitt oder die rätselhaft-botanischen Dschungelwelten ihrer Monotypien spielen mit Assoziationen aus der Sprache des Comics oder dem Repertoire der Graffitikunst. Besonders häufig klingt jedoch der kreative Dialog mit dem Surrealismus und insbesondere mit Max Ernst an, dessen bedrohlich-anziehende Mischwesen, rätselhafte, dunkle Wälder oder Umkehrungen von Makro- und Mikroperspektiven der 1920er Jahre den Betrachter verunsichern und zugleich in die Lage versetzen, die Welt mit neuen Augen entdecken zu dürfen.
Abreibungen von Gehwegplatten oder die Kombination von fotografischen Schnappschüssen und grafischen Drucktechniken gehören ebenso zum Repertoire von Eggerts Kunst wie die souveräne Kopplung von expressiver Gestik und der Adaption wissenschaftlicher Tierdarstellungen. Dabei stößt man immer wieder auf sonst oft übersehene Insekten, Raupen oder noch unscheinbarere Mikrowesen, die die Künstlerin zu den Protagonisten ihrer Bildwelten macht. Ihre Serie „Phasenwechsel“ von 2021 erweckt den Eindruck eines Archivs, in dem winzige Lebewesen scheinbar systematisch geordnet nebeneinander darstellt werden. Durch die spannungsvolle Kombination von Holzschnitt und Monotypie schafft Eggert eine Atmosphäre zwischen magischem Surrealismus und einem historischen naturwissenschaftlichem Tafelwerk, wie wir es von Ernst Haeckels legendärem Bildband „Die Welträthsel“ kennen, der der staunenden Leserschaft 1901 erstmals die Augen für die Welt wirbelloser Lebewesen der Tiefsee öffnete.
Rückbezug als Erweiterung
Mit dieser Art der kreativen Aneignung kunst- und kulturhistorischer Bildquellen ist Eggert nicht allein. Der kreative Bezug zu wichtigen Positionen insbesondere der avantgardistischen Strömungen der ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ist ein zentrales Kennzeichen der postmodernen Kunst. Hier wird systematisch, forschend, spielerisch oder ironisch mit dem vorgefundenen Material umgegangen, das in neue Bezüge gesetzt und aus der aktuellen Perspektive hinterfragt wird. Bei Eggert fallen dabei Bezüge zu aktuellen ökologischen, urbanen oder kommunikativen Fragestellungen auf. Sie schafft eine Kunst, die unmittelbar wirken möchte, aber gleichzeitig auch das Potenzial zur Reflexion hat. Dabei ist die Balance der Formen, die Stringenz der Struktur und die Schlüssigkeit der gewählten Mittel Beweis für ihre souveräne Beherrschung der Mittel.
Holzschnitt
Im Zentrum des Schaffens von Angelika Eggert steht der Holzschnitt, der immer wieder mit anderen Medien kombiniert und erweitert wird. Die Künstlerin arbeitet mit klaren Formen, kontrastreichen Strukturen und kraftvollen Gesten auf großen Formaten, die den Schaffensprozess stets erkennen lassen. Eggert gehört einer postmodernen Generation von Künstlern an, die das ursprünglich mittelalterliche Medium wiederentdeckt und zu neuer Blüte geführt hat. Erwähnt werden soll der Norweger Sverre Wyller und der Deutsche Mathias Mansen, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass der Holzschnitt nach seiner Blüte während des deutschen Expressionismus seit den 1980er Jahren erneut in den Fokus gerückt wurde. Fern aller akademischen Maßstäbe wird hier experimentiert und kombiniert, was die Druckstöcke halten. Angelika Eggerts spielerischer und experimenteller Umgang mit dem Medium, die starke Farbigkeit und das mutige Zusammenspiel von Figur und Abstraktion sowie Form und Struktur verleihen ihren Arbeiten ganz eigene Leichtigkeit und im positiven Sinne Unbekümmertheit.
Fruchtbare Kombinationen
Ohnehin in vielen Techniken von der Zeichnung über die Öl- und Aquarellmalerei bis hin zu Holzschnitt, Monotypie und Graffiti technisch vielseitig aktiv, reicht Angelika Eggert oft ein Medium allein nicht aus, um ihre Ideen zu realisieren. Die Kombination von zwei Techniken resultiert nicht nur in ungewohnten und spannenden Wirkungen, sie erhöht auch den Anteil des Zufalls am kreativen Prozess und somit die Möglichkeit der Eroberung und Entdeckung neuen Terrains.
Trotz zahlreicher interdisziplinärer Spielformen ist die Kombination von zwei klassischen Medien, wie etwa Holzschnitt und Aquarell oder Fotografie und Holzschnitt, in der Gegenwartskunst selten. Den wichtigsten Vorreiter und Pionier solcher Tabubrüche findet man erneut in der Moderne, genauer in Edvard Munch, der als relativ später Quereinsteiger in die Druckgrafik ohne jede Hemmung und ohne jeden Respekt für akademische Dogmen mit dem Medium experimentiert. Für sein berühmtes Motiv „Vampir“ bringt er Lithografie, Holzschnitt und Aquarell auf einem Blatt zusammen. Nicht nur diese Innovation, sondern auch die gestischen, bewusst groben Strukturen der Kunst des Norwegers bilden eine wichtige Inspirationsquelle für Eggert.
Wo die Pioniere der Moderne alles Vorherige über Bord werfen wollten, geht es Angelika Eggert darum, die bahnbrechenden Innovationen in die heutige Zeit zu übertragen, zu befragen und für eigene Ziele neu zu nutzen. Wo damals der Paradigmenwechsel der Utopie herrschte, stößt man heute bei Eggert und anderen auf ein differenziertes Vorgehen, das in neuen Kombinationen denkt und die „entweder- oder-Haltung“ durch eine „sowohl-als-auch-Position“ ersetzt hat.
Mit ihren surrealen Bildwelten und ihren expressiv-experimentellen Strukturen pflegt Angelika Eggert einen eigenständigen Diskurs mit wesentlichen Strömungen und Errungenschaften der Moderne. Ihre reichen und vielfältigen Bildwelten zeigen, wie man im kreativen Umgang mit Aspekten der Moderne Neues schaffen und aktuelle Statements machen kann. Das Gefühl für Fläche, Form und Kontraste, und die Art und Weise, wie die oft surreale Welt unseres Alltags in Bilder gefasst wird, macht die Eigenständigkeit von Angelika Eggerts Künstlerschaft aus.
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